Für die anstehende Königsetappe im Ocean Race rüsten sich alle Teams mit den erfahrensten Kräften. Für Paul Meilhats Team Biotherm steigt Offshore-Ikone Sam Davies in den Ring. Im Interview erzählt die 48-jährige dreimalige Vendée-Globe-Starterin und Weltumseglerin, warum sie sich auf den Härtetest freut, warum sie Team Guyots Leistungen im Ocean Race bewundert und sich besonders für Team Malizias Foils interessiert
Jetzt kommt Sam Davies. Die in Frankreich lebende Hochsee-Skipperin zählt zu den erfahrensten und populärsten Akteurinnen im internationalen Hochseesegelsport. Mit dem eigenen neuen Imoca “Initiatives-Cœur” hat sie ihren vierten Vendée-Globe-Start 2024 im Visier. Für Eurosport ist sie auf den internationalen Kanälen als TV-Expertin im Ocean-Race-Einsatz. Auf Etappe drei wird die in Portsmouth geborene Britin wieder selbst aktiv, verstärkt Paul Meilhats französisches Team Biotherm. Mit Paul Meilhat hat Davies das Transat Jacques Vabre 2019 auf ihrer “Initiatives-Cœur” bestritten. Jetzt steigt die versierte Skipperin und Maschinenbau-Ingenieurin zu ihm an Bord.
Samantha Davies ist die Frau, der “Maiden”-Pionierin Tracy Edwards einst “bewundernswertes technisches Können” und “außergewöhnlichen Mut” attestierte.
In der kommenden Woche wird Sam Davies voller Vorfreude nach Kapstadt fliegen. Dort fällt am 26. Februar der Startschuss zur “Monster-Etappe” des Ocean Race. Der brutalste Abschnitt der Mannschaftsweltumsegelung führt die Teams im Ocean Race von Kapstadt über 12.750 Seemeilen nonstop an den drei großen Kaps vorbei ins brasilianische Itajaí. Während andere absagten, kann Sam Davies, die im Ocean Race 2014/2015 das Frauen-Team SCA um die Welt führte, den Startschuss kaum abwarten. Dass sie bislang nur einen Segeltag auf der neuen “Biotherm” absolviert hat, stört die Seglerin mit Hunderttausenden Seemeilen im Heckwasser nicht wirklich …
(Lacht) schlecht … Ich versuche verzweifelt, alles reinzubekommen. Und dann ruft wieder jemand vom Team an und bittet mich, noch etwas mitzubringen.
Mit guten und schlechten. Ich war zweimal da. Bei der letzten Vendée Globe bin ich mit einem unbekannten Objekt kollidiert, habe mich verletzt und musste mein Boot in Kapstadt reparieren. Das bedeutete damals ein Stück Land, das ich gerade nicht wirklich sehen wollte. In guter Erinnerung habe ich, dass sich dort sehr gute Freunde um mich gekümmert haben und mein Team einfach alles dafür getan hat, dass ich das Rennen – wenn auch außerhalb der Wertung – zu Ende bringen konnte. Das war damals eine etwas beängstigende Angelegenheit, weil ich den Kurs weit hinter dem Feld ziemlich allein fortgesetzt habe. Deswegen freue ich mich jetzt sehr darauf, die dritte Ocean-Race-Etappe im Team zu bestreiten.
Oh, ja. Da haben wir kurz vor Zieldurchgang vor Kapstadt noch “Mapfre” überholen können. Ich habe auch ganz tolle Erinnerungen an das Hafenrennen damals. Das haben wir in kreischenden Winden um 15 bis 20, in Böen über 40 Knoten starken Winden bestritten, die aus allen Richtungen kamen. Die Hälfte der Crew hat über Manöver diskutiert. Es war total manisch auf dem Boot. Alle schrien sich an. Der arme Journalist an Bord muss gedacht haben “Oh mein Gott”. Wir sind mit Platz drei aufs Podium gesegelt. Es war episch.
Schwer (lacht). Aber ich bin auch die Mutter eines Jungen und versuche natürlich, das Beste aus den letzten Tagen hier in Frankreich zu machen, bevor ich nach Kapstadt fliege. Denn ich verlasse ihn für zwei Monate. Ich habe also in den letzten Wochen auch ein bisschen auf die Work-Life-Balance geachtet. Aber natürlich habe ich auch am Tracker geklebt, mich mit den Leistungsdaten unseres Bootes und dem Wetter-Routing befasst, um Team Biotherms Optionen zu studieren und zu sehen, welchen Kurs sie wählen. Ich habe auch die Bilder studiert, die von Bord kamen, weil ich wissen wollte, wie es so ist. Das war auch für das Packen meiner Tasche interessant.
Ja, ganz ähnlich. Aber es ist ja sowieso immer so eine Sache damit, ein Rennen von Land aus zu betrachten und zu interpretieren. Ich bin gerade erst mit meinem Boot “Initiatives–Cœur” zurück von der Route du Rhum und der Rücküberführung. Es herrscht von außen schnell mal der Eindruck, dass da draußen die Bedingungen herrschen, die wir auf dem Tracker sehen, wenn wir auf den Wetterknopf drücken. Aber in der Realität ist das nur der Durchschnitt dessen, was auf See wirklich passiert. Du vergisst schnell, dass da draußen Wolken und Böen sind.
Ich bin natürlich sehr an allen Erkenntnissen interessiert (Red.: Sam Davies will mit dem eigenen Imoca die Vendée Globe 2024/2025 bestreiten und befindet sich dafür wie die aktuellen Ocean-Race-Teams im Optimierungsprozess). “Malizia” segelt mit Schwester-Foils von meinen. Also achte ich natürlich darauf, wie es damit geht. Wenn der Wind da ist, sieht es so aus, als sei es einfach, das Boot mit hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten zu segeln. Das korrespondiert mit meinem Gefühl, das ich hatte, als ich angefangen habe, mein neues Boot kennenzulernen. Ich hatte noch nicht sehr viel Zeit mit meinem Boot, weil wir im letzten Jahr ein bisschen spät dran waren, es zu Wasser zu bringen. Es sieht sehr interessant aus: Wenn die Wetterbedingungen stärker werden, Wind und Wellen zunehmen, dann ist es gut. Es sieht so aus, dass Team Malizia da einen Vorteil hat und Modi findet, das Boot ein bisschen leichter laufen zu lassen. Abgesehen von der heftigen Geräuschkulisse an Bord …
Ja, aber mein Boot ist auch ein bisschen schwerer als die anderen. Es erschien mir schon so, als würde mein neues Boot im Vergleich mit anderen Booten am komplett anderen Ende der Skala stehen. Mein altes Boot war wirklich schnell in leichten Winden und bei den Übergängen. Nun könnte mein neues Boot in leichteren Winden etwas klebriger sein. Aber für eine Vendée Globe ist es einfach ein beruhigendes Gefühl, wenn du ohne viel Gewalt gute Durschnittsgeschwindigkeiten segeln kannst. Das führt beim Solsosegeln auch dazu, dass die Belastungen für dich selbst nicht zu hoch sind.
Ich denke ja. Auch wenn die Foils, mit denen sie jetzt segeln, nicht perfekt passen, weil sie nicht für Malizia gebaut wurden, sondern für ein Schwesterschiff von meinem Boot. Ihre Kästen und Winkel wurden nicht für genau diese Foils designt. Aber es sieht so aus, dass sie fast glücklicher mit denen sind, die sie jetzt haben, als mit denen, die sie vorher hatten. Ein paar Modifikationen haben sie offenbar noch vorzunehmen … Wir hatten den gleichen Schaden mit unseren Foils, den sie jetzt hatten. Darüber hatten wir sie informiert. Sie hatten offensichtlich nicht ganz die Zeit zur Verstärkung vor dem Rennstart, werden das aber jetzt in Kapstadt nachholen.
Genau. Wir hatten das gleiche Thema. Es ist nur die Achterkante des Foils, die bei der Aufnahme der Belastungen nicht ganz widerstandsfähig genug ist. Das beeinflusst aber in keiner Weise die Struktur, also das Rückgrat der Foils. Der Schaden ist kosmetischer Natur. Wenn du allerdings diese Abnutzung zu weit fortschreiten lässt, dann wirst du die Foils nicht mehr ein- und ausfahren können. Es könnte also kritisch werden, wenn du das Problem nicht beseitigst.
Sie sehen sehr gut aus in mehr Wind. Etwas genauer habe ich mir aber auch die Doldrums-Passage angesehen. Das ist immer schwierig und von Land aus leicht zu kritisieren. Aber es ist echt hart, da die Entscheidungen zu treffen. Da spielt auch das Glück eine ziemliche Rolle. Nach allen Erfahrungen ist es der klassische Weg, sich dort wie Team Malizia im Westen zu positionieren. Da kommst du oft am besten durch.
Einmal mehr hatte dieses Mal das Boot, das sich zur Abkürzung im Osten entschieden hat, die leichtere Passage. Team Guyot hatte sich am östlichsten positioniert. Sie sind etwas schneller durch die Zone gekommen als andere Boote. Bekannterweise konnten sie das aber am Ende nicht in Punkte ummünzen. Das war echt Pech für sie, weil sie unter einer Wolke hängen geblieben sind. Das ist wirklich schade für das Team! Denn manchmal, wenn du im Osten durchkommst, kannst du einfach alle überrollen. Es war schade, dass sie nicht die richtigen Bedingungen hatten, den verdienten Erfolg einzufahren. Das tat mir wirklich leid, weil es eine mutige und gute Entscheidung war.
Ja, es sieht so aus, als seien sie eine großartige Crew. Ich habe sie ein bisschen beobachtet. Sie scheinen sehr ehrlich miteinander umzugehen. Es ist eine internationale Crew, in der zwei Teams zu einem zusammengekommen sind. Was sie machen, ist toll. Sie haben offen darüber gesprochen, dass es nicht leicht für sie ist. Wenn man kein brandneues Boot hat, sind die Ziele vielleicht etwas anders als die der anderen. Es geht auch darum, ein Team zur erfolgreichen Zusammenarbeit zu bringen und deine eigenen Ziele für eine Weile in den Hintergrund zu stellen. Es ist ein interessantes Segelteam an Bord, das ich gern verfolge. Was sie schaffen, ist ziemlich erstaunlich.
Es sind großartige Segler an Bord. Ich habe viel Respekt für jedes einzelne Crewmitglied im Team Biotherm. Das gilt auch für Amélie (Red. Amélie Grassi), mit der ich jetzt den Platz tausche. Ich kenne Paul gut, weil wir schon auf meinem Boot gemeinsam Zweihand-Regatten bestritten haben. Bis auf eine ganz kurze Zeit in Alicante bin ich noch nie mit Damien oder Anthony gesegelt, aber sie sind gute Freunde und stark leistungsorientiert. Als Paul mich fragte, ob ich diese Etappe mit seinem Team bestreiten will, war das einer der Gründe für meine Zusage. Ich wusste da schon etwa, wen er gern dabeihaben wollte. Ich war wirklich interessiert, diese Etappe nicht nur mit Paul, sondern auch mit Anthony und Damien zu segeln. Noch besser: Auch unser An-Bord-Reporter ist großartig. Seine Arbeit ist fantastisch. Das ist Ronan Gladu, ein Franzose. Seine Segel-Reportagen von Bord sind sehr cool. Und er ist ein bodenständiger Typ, der realitätsnah vom Geschehen berichtet.
Wir waren mit unserem Neubau ein bisschen spät dran, als diese Möglichkeit auftauchte. Wir haben das diskutiert, aber es kam für uns als Team einfach zu früh. Es gab auch noch viele Veränderungen und Unbekannte im Ocean Race. Wir arbeiten mit einem kleineren Budget. Da war es für mich als Skipperin einfach unmöglich, beides – die Vendée Globe und das Ocean Race – innerhalb des kurzen Zeitrahmens und mit dem kleinen Team zu machen, das wir sind. Für die Zukunft will ich das aber nicht ausschließen. Dieses Rennen ist so wichtig. Es sieht nach den ersten Etappen so aus, als würde es ein Erfolg werden. Das wird andere Teams überzeugen mitzumachen. Auch denke ich, dass die Rennorganisatoren Johan Salén und Richard Brisus sehr offen sind für Vorschläge und Diskussionen. Die Zeiten ändern sich …
Ich sehe die Zukunft des Ocean Race ziemlich positiv. Ich glaube, dass die Flotte wieder wachsen wird. Als wir in Alicante waren, tauchten da eine Menge anderer französischer Teams auf. Am letzten Wochenende vor dem Start habe ich eine ganze Reihe von Managern und anderen Skippern gesehen, die noch nicht teilnehmen. Auch Mitglieder von Shoreteams anderer Projekte. Alle haben sich das ein bisschen genauer angesehen.
Es ist DIE Etappe. Weshalb ich auch so scharf darauf war, sie zu segeln. Die anstehende Etappe ist gigantisch! Wie verlassen Kapstadt, biegen links ab und segeln nonstop die ganze Runde bis nach Brasilien. Das ist der lange Weg rund um die Antarktis. Wir lassen Südafrika, Australien und Südamerika an Backbord. Wir kommen nach Kap Hoorn wieder hoch und erreichen Itajaí. Wir werden uns also in die Brüllenden Vierziger einklinken und im berühmten Southern Ocean segeln, wo wir tief eintauchen und nicht wieder auftauchen, bis wir wieder im Atlantik sind. Wir werden den Indischen Ozean und den Südpazifischen Ozean durchqueren, bevor es zurück in den Atlantik geht.
Die Etappe dauert in eisiger Kälte und starken Winden vielleicht etwas über einen Monat. Wir werden auf der antarktischen Seite eine Grenze haben, die wir nach Süden nicht übersegeln dürfen. Es ist die sogenannte Eisgrenze, die uns vor den Gefahren bewahren soll, den abgebrochenen Eisstücken oder Eisbergen zu nahe zu kommen. Das ist etwas, was die Rennorganisation sehr ernst nimmt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir uns mit diesen Booten jetzt so schnell bewegen. Es wäre dumm, Kollisionen mit Eis zu riskieren. Gerade heutzutage, wo wir anhand von Satellitenbildern mehr oder weniger gut sehen können, wo sich das Eis bewegt.
Aktuell gibt es recht viel Eis im Südpazifik. Das könnte die Route zum einen recht stark verlängern. Es könnte die Flotte aber auch bremsen, weil wir dann beim Umfahren der Eisgrenzen in bestimmten Bereichen aus den stärkeren Winden rausmüssen.
Für mich ist es eine historische Etappe. Die Solosegler, die schon die Vendée Globe bestritten haben, kennen das ein bisschen. Wir segeln ja auch diesen Kurs und noch länger im Southern Ocean. Abgesehen davon, hat noch nie jemand so eine Etappe bestritten wie die, die jetzt kommt. Es gab sie in der Geschichte des Whitbreads, des Volvos, des Ocean Race noch nie. Das ist die längste Etappe, die es im Ocean Race je gab, und ich finde es toll, dabei zu sein. Es ist gleichzeitig eine riesige Herausforderung. Du musst dich selbst, deine Crew-Kameraden und das Boot über eine lange Zeit in extremen Bedingungen pushen. Wir sind über einen langen Zeitraum aneinandergebunden. Es wird Höhen und Tiefen geben. Deswegen ist Teamwork so wichtig. Ebenso wie das Boot in einem Stück zu behalten.
Ja, das ist interessant. Wir können die Boote in Crew-Konstellation zum ersten Mal ein bisschen härter pushen, als es ein Solosegler in der Vendée Globe kann. Ich denke aber auch, dass wir mit dem Boot und der Ausrüstung vorsichtig sein müssen. Wir gehen in Bereiche rein, die nie zuvor entdeckt oder getestet wurden. Weil in der Vendée jeder den Fuß eher ein bisschen vom Gas nimmt, wenn man im Southern Ocean segelt. Einfach, weil man einhand unterwegs ist. Du musst ja auch noch den Atlantik wieder hochkommen. Es wird also interessant sein zu sehen, wie die Boote halten. Oder ob wir viel reparieren müssen.
Als ich davon hörte, dachte ich nur: “Oh mein Gott, wenn Abby sagt, dass sie diese Etappe nicht segeln will – sie ist so erfahren –, dann hätte ich Paul vielleicht auch keine Zusage geben sollen. Dann habe ich mich aber mit Annie Lush unterhalten, die Etappe drei auf Guyot segeln wird. Wir haben uns gegenseitig versichert, dass egal, was passiert, wir diese Etappe nicht verpassen dürfen. Also werden wir reingehen und damit klarkommen müssen. Es ist so eine fantastische Sache! Natürlich werde ich mich selbst in den kommenden Monaten mehrfach an diese jetzt noch so positiven Gedanken erinnern müssen (lacht).
Ja, ich habe einen kleinen Teddybären mit einem großen roten Herzen, der die Charity repräsentiert, für die ich antrete. Ich unterstütze die humanitäre Organisation Mécénat Chirurgie Cardiaque, die es Kindern mit schweren Herzfehlern ermöglicht, in Frankreich operiert zu werden, wenn dies in ihren Heimatländern aus technischen oder finanziellen Gründen nicht möglich ist. Der Teddy begleitet mich oft. Insgesamt sind es drei kleine Kuscheltiere, die ich gerne dabeihabe. Aber ich glaube, dass ich nur eins auf diese Etappe mitnehmen kann. Vor allem, wenn man bedenkt, was ich den anderen noch alles nach Kapstadt mitbringen soll, werde ich kaum Platz haben.
Außerdem habe ich immer die St.-Christopher-Kette um, die ich von meinem Großvater bekommen habe. Er hat sie als U-Boot-Kommandant im Zweiten Weltkrieg getragen und mir geschenkt hat, als ich angefangen habe, an Rennen um die Welt teilzunehmen. Er sagte: “Ich brauche sie jetzt nicht mehr. Aber sie hat mir in meinem U-Boot Sicherheit gegeben. Jetzt brauchst du sie mehr als ich.”
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